Hochkarätiger Holocaust-Gedenkakt in Gerasdorf

„Wer ein Leben rettet, rettet die ganze Welt“, zitierte Bürgermeister Alexander Vojta zum Abschluss eines Gedenkakts zur Erinnerung an Holocaust-Opfer auf Gerasdorfer Boden. Vizebürgermeister Abg. Lukas Mandl erklärt: „Es ist ein Geschenk, dass wir in dieser Zeit in diesem Land leben dürfen. Dann machen wir aber auch etwas daraus für eine bessere Welt.“

Mehr als ein Jahr lang hat ein wissenschaftliches Team begleitet durch den Gerasdorfer Lokalhistoriker Othmar Scheider an der Dokumentation eines Lagers, in dem rund 280 Jüdinnen und Juden aus Ungarn im Jahr 1944 auf Gerasdorfer Boden zur Zwangsarbeit interniert waren, gearbeitet. Zahlreiche Zeitzeuginnen und –zeugen haben diese Arbeit unterstützt. Die Gerasdorfer Stadtregierung hatte im Vorjahr den 70. Jahrestag der Befreiung vom Nationalsozialismus zum Anlass genommen, das Gedenk-Projekt zu starten. Mitte Juni hat der Holocaust-Überlebende István Gábor Benedek, der als Kind im Lager Gerasdorf interniert gewesen war, die Gedenkfeierlichkeiten in Gerasdorf bei Wien besucht. Holocaust-Überlebender Benedek: „Demokratisches Europa gemeinsam aufbauen“ „Mir ist (...) bewusst, dass wir stellvertretend auch für viele zehntausende jüdische Sklavenarbeiterinnen und Sklavenarbeiter stehen, die die Politik und der militärische Apparat der Nazis nach Österreich und einen Teil von ihnen auch an andere Orte weiter vertrieben hat, in die Hölle der Höllen: nach Bergen-Belsen und in andere Lager“, so Benedek in seiner Rede anlässlich des Gedenkakts am Bahnhof Gerasdorf, wo Bürgermeister Alexander Vojta, Vizebürgermeister Abg. Lukas Mandl sowie Gemeinderat Christian Koza zusammen mit Bundesminister Wolfgang Brandstetter, Landeshauptmann-Stellvertreterin Karin Renner und Landesrat Karl Wilfing einen Gedenkstein enthüllt haben. Seitens der Stadtpolitik nahmen an dem Gedenkakt auch die Stadträtinnen Brigitte Groß und Gertrude Sommer, die Stadträte Robert Bachinger, Johann Schneider und Jürgen Trimmel, sowie die Gemeinderats-Mitglieder Dominik Brückl, Doris-Maria Dulmovits, Robert Granzer, Franz Ornik, Thomas Puchter, Paul Vogler und Andreas Zein teil. Benedek schloss seine Rede mit den Worten: „Unsere Aufgabe ist es jetzt, dass wir das demokratische Europa gemeinsam aufbauen und stärken, dass wir innerhalb dieses Europas unsere guten nachbarschaftlichen Beziehungen fördern, die durch solche Gesten wie die Aufstellung und Enthüllung des Gerasdorfer Denkmals sowie durch die Straßenbenennung noch wertvoller werden.“ In der Inschrift des Gedenksteins werden die sieben namentlich bekannten Jüdinnen und Juden des Lagers Gerasdorf, die „den erlittenen Entbehrungen“ erlegen sind, genannt, verbunden mit dem Bekenntnis: „Im Geist der Geschwisterlichkeit aller Menschen wird die Gerasdorfer Bevölkerung die Opfer niemals vergessen und immer für Frieden, Freiheit und Menschenwürde arbeiten.“ Israels Botschafterin Lador-Fresher: Schicksal verbindet Österreich, Ungarn, Israel Dem Gedenkakt haben auch der Generalsekretär der Israelitischen Kultusgemeinde Wien, Raimund Fastenbauer, sowie die Botschafterin Israels, Talya Lador-Fresher, und der zweite Botschaftsrat der Botschaft Ungarns in Österreich, Ivan Csobanci-Horvath, beigewohnt. Fastenbauer erklärte in seiner Ansprache: „Es ist eine humanistische Verpflichtung, den Toten eine würdige Erinnerung zu geben.“ Lador-Fresher betonte: „Das Schicksal jener ungarischen Jüdinnen und Juden, die vom Nazi-Regime als Zwangsarbeiter missbraucht und schließlich ermordet wurden, verbindet heute drei verschiedene Länder: die Republik Österreich, die Republik Ungarn, und den Staat Israel. Die gemeinsame Geschichte der beiden Länder - Österreich und Ungarn – und jene ihrer jüdischen Bevölkerung reicht 800 Jahre zurück und besteht bis heute. Jedoch wurde diese Geschichte durch Antisemitismus, Vertreibung und Vernichtung stark belastet, ja beinahe ausgelöscht.“ Im Rahmen des Gedenkprojekts entstand auch eine Publikation unter dem Titel „Das ‚Judenlager‘ Gerasdorf“. Die leitende Historikerin Eleonore Lappin-Eppel von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften dokumentiert in dem gut 80 Seiten starken Band zusammen mit Éva Kovács und Kinga Frojimovics vom Wiener Wiesenthal Institut für Holocaust-Studien und Stephan Roth vom Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes die wissenschaftlichen Erkenntnisse rund um das Lager. Die Publikation enthält auch die Rede von Benedek sowie Vorworte von Bundespräsident Heinz Fischer, Bundeskanzler Christian Kern, Landeshauptmann Erwin Pröll, den Bundesministern Sebastian Kurz und Wolfgang Sobotka, Landesschulrats-Präsident Johann Heuras, Bürgermeister Alexander Vojta und Vizebürgermeister Abg. Lukas Mandl. Der Bundespräsident erklärt dort: „Mit seinem Standort am Bahnhof wird der Gedenkstein auch ein fixer Bestandteil des öffentlichen Raums. Er leistet damit einen wichtigen Beitrag zum Einsatz für eine bessere Welt.“
Bundesminister Brandstetter sagte in seiner Ansprache beim Gedenkakt: „Derartige Veranstaltungen können in ihrer Bedeutung gar nicht hoch genug gestellt werden.“ Landesrat Wilfing sagte: „Niederösterreich ist ein geschichtsträchtiges und –bewusstes Land. Geschichte heißt auch, diese zu bewerten und zu verstehen um für die Zukunft daraus zu lernen.“
Zweiter Botschaftsrat Csobanci-Horvath erklärte: „Die Geschichte ist nicht veränderbar und genau darum braucht es diese Veranstaltungen um nicht zu vergessen.“ Landeshauptmann-Stellvertreterin Renner zitiert: „Wer die Vergangenheit nicht versteht, versteht nichts.“ Die Projekt-Initiatoren Vojta und Mandl dankten unisono allen, die „am Zustandekommen eines würdigen Gedenkens in Gerasdorf beteiligt waren, sind und in Zukunft sein werden“. Am Gedenkakt haben auch Abordnungen der Freiwilligen Feuerwehr Gerasdorf, der Freiwilligen Feuerwehr Seyring, des Roten Kreuzes Gerasdorf und der Polizeiinspektion Gerasdorf teilgenommen. Vor dem Gedenkakt war István Gábor Benedek in der Neuen NÖ Mittelschule Gerasdorf von Direktorin Herta Hrdlicka empfangen worden und hat dort mit Schülerinnen und Schülern der vierten Klassen gesprochen. Außerdem hat Benedek zusammen mit Bürgermeister Vojta und Vizebürgermeister Abg. Mandl die Rósza Braun Gasse besucht. Diese Gasse führt am ehemaligen Lagergelände vorbei und wurde durch den Gerasdorfer Gemeinderat nach der Mutter von István Gábor Benedek benannt. Auf Rósza Braun gehen auch zahlreiche Dokumente, die über das Lager Gerasdorf und die Zeit nach dem Holocaust vorhanden sind, zurück. Mantel des Gerasdorfers Seidl rettete vor Erfrieren, „Freund bis ans Lebensende“ Ein besonderer Moment war das Wiedersehen von Benedek und Helmut Seidl. Die beiden waren einander als Kinder 1944 in Gerasdorf begegnet. Benedek war der Sohn einer Zwangsarbeiterin, Seidl der Sohn einer Bäckerfamilie, die – in Missachtung der damaligen Unrechtsgesetze – der Zwangsarbeiterin und deren Familie geholfen hat. Die beiden haben einander anlässlich des Gedenkens in Gerasdorf erstmals seit 72 Jahren getroffen. Benedek sagte in seiner Rede: „Vom, mit mir fast gleichaltrigen, Helmut ‚erbte‘ ich auch einen kleinen Pelzmantel mit Lammleder-Futter. In der winterlichen Kälte von Bergen-Belsen rettete mich dieses Mäntelchen vor dem Erfrieren. Danke dafür an die Seidl-Mama und an den damaligen kleinen Helmut. Von heute an möchte ich ihn bis an mein Lebensende als meinen liebevollen Freund wissen.“